Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät - Pädagogik bei Beeinträchtigungen des Lernens und Allgemeine Rehabilitationspädagogik

Geschichte

Zur Geschichte des Heilpädagogisches Archivs Berlin des Instituts für Rehabilitationswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin

Die Geschichte des Heilpädagogischen Archivs Berlin (HPA) ist eng verbunden mit der Professionalisierung der Sonderpädagogik. Kurz nach der Einführung der akademischen Ausbildung für Hilfsschullehrkräfte in Berlin während der Weimarer Zeit wurde das Archiv 1926 gegründet um die angehenden Hilfsschullehrkräfte zu qualifizieren. Die akademische Ausbildung der Hilfsschullehrkräfte basierte auf der allgemeinen Lehrerbildung und zeichnete sich durch wenige, jedoch spezifische Seminare im Rahmen der Themen der Hilfsschule und Heilpädagogik aus.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Heilpädagogische Archiv komplett zerstört, alte Bestände gingen verloren. Der Neuaufbau des Archivs erfolgte ab 1950, bis 1992 war es an der Freien Universität in Berlin angesiedelt. 1996 zog der Bestand an die Humboldt-Universität zu Berlin um, wo es nun nach knapp 20 Jahren wieder für den Publikumsverkehr geöffnet ist. 2015 wurde dem Heilpädagogischen Archiv der offizielle Status einer Sammlung entsprechend der Sammlungsordnung der Humboldt-Universität zu Berlin zugesprochen.

 

1. Die Gründungsjahre des Heilpädagogischen Archivs bis 1933

Die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Bibliothek für Heilpädagogik ist eng mit der Entstehung einer akademischen Ausbildung für die Lehrkräfte an den Berliner Hilfsschulen verknüpft. Die ersten Fortbildungskurse für Hilfsschullehrer_innen in Berlin wurden zwischen 1910 und 1912 von Arno Fuchs (1869-1945) angeboten. Er war ebenfalls verantwortlich für den ersten Ausbildungskurs für Hilfsschullehrer_innen, der 1916 in Charlottenburg stattfand. Die erste zentrale Ausbildungsstätte für Hilfsschullehrer_innen in Berlin-Brandenburg wurde im Jahre 1923/24 unter dem Namen „Heilpädagogisches Seminar Berlin-Brandenburg“ gegründet. Vorangetrieben wurde dies vor allem durch die Unterstützung des Hilfsschullehrers und Magistratsschulrats Arno Fuchs sowie des Stadtschulrats Jens Nydal (1869-1945), (Koch, 1925). Ab 1925 fanden die Ausbildungskurse an der Diesterweg-Hochschule statt, 1931 wurde das „Heilpädagogische Seminar Berlin-Brandenburg“ in „Heilpädagogisches Institut Berlin“ umbenannt (Ellger-Rüttgardt & Wolff, 1998).

 

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Das Heilpädagogische Archiv wurde im Februar 1926 auf Anregung der städtischen Schulverwaltung und des Vorstands des Landesverbandes Berlin-Brandenburg des Verbands der Hilfsschulen Deutschland gegründet (vgl. Klein, 1928). Es bezog zunächst Räumlichkeiten in der 189. Volksschule Prenzlauer Berg in der Senefelder Straße. Aufgabe des Heilpädagogischen Archivs war es, „die Entwicklung der gesamten Heilpädagogik und aller Sonderschularten bis zur Gegenwart zu verfolgen und in einschlägigen wissenschaftlichen, methodischen, literarischen, statistischen und anderen Zeugnissen zu sammeln.“ (Klein, 1928). Mit der Gründung des Heilpädagogischen Archivs sollte zudem der Zugang zur Literatur erleichtert werden und die Ausbildung zukünftiger Hilfsschullehrer_innen unterstützt werden.


Zum Gründungszeitpunkt enthielt das Archiv u.a.:

  • eine nach wissenschaftlichen Grundsätzen ausgebaute Autoren- und Sachkartei
  • eine Zeitschriftensammlung
  • eine Sammlung von wichtigen Dokumenten über die Entwicklung des Sonderschulwesens
  • eine Sammlung von Lehr- und Anschauungsmitteln
  • eine Sammlung von Schüleräußerungen und –arbeiten verschiedener Art
  • eine Sammlung vollständiger Lehrgänge aus dem Werk- und Arbeitsunterricht sämtlicher Sonderschulen (Klein, 1928).


Nach zwei Jahren umfasste der Bestand des als Präsenzbibliothek konzipierten Heilpädagogischen Archivs 1600 Bände. Ab Oktober 1928 konnte durch die Anschaffung von Doppelexemplaren den Nutzer_innen die Ausleihe von Büchern ermöglicht werden. 1929 wurden durch das preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, durch Schulverwaltungen der Provinz Brandenburg und der Stadt Berlin größere Geldbeträge zur Verfügung gestellt, die den Ankauf von weiteren 1400 Bänden ermöglichten (Klein, 1930).

Aufgrund des stetig wachsenden Bestands musste das Heilpädagogische Archiv 1931 umziehen und wurde im Haus der Lehrerfortbildung in der Klosterstraße 75 untergebracht. Der Bestand wuchs hier um weitere 4000 Bände, es gab tägliche Öffnungszeiten und wurde von diversen Studiengemeinschaften, die verschiedene Themen gemeinsam bearbeiteten, genutzt. Zudem organisierten sie öffentliche Ausstellungen und Präsentationen zum Themenfeld Hilfsschulpädagogik (Die Hilfsschule, 1931).

Kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten zog das Heilpädagogische Archiv in die Hirtenstraße um (Die Hilfsschule, 1932). Die staatliche Unterstützung wurde auch in der Zeit des Nationalsozialismus fortgesetzt. 1935 wurde das Heilpädagogische Archiv in das Heilpädagogische Institut als Unterabteilung eingegliedert (Ellger-Rüttgardt & Wolff, 1998; diese verweisen auf eine Akte im Bundesarchiv: R 4901/3266/I, Bl.110, 198, 203, 397, 434, 515). Aufgrund einer Mitteilung in der Zeitschrift „Die deutsche Sonderschule“ (1942) ist davon auszugehen, dass das Archiv 1942 abermals umzog: „Die Bücherei der ehemaligen heilpädagogischen Studiengemeinschaften (Heilpädagogisches Archiv der Stadt Berlin) ist auf Anordnung des Reichserziehungsministers vom Deutschen Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht, Berlin W 35, Potsdamer Straße 52 und 53 (nahe Potsdamer Brücke), übernommen worden …“ (77).

Über die Zeit von 1939 bis 1945 ist wenig bekannt. 1965 berichtet Margarete Trapp in einem Brief an Karl Holeczek, einem späteren Leiter des Archivs, folgendes:

1941 wurden die Bücherei und die große Kartei – mein Stolz und meine Freude – übernommen vom Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht (…). Wo die reichhaltige Lehrmittelsammlung geblieben ist und ihre schönen großen Glasschränke, weiß ich nicht. (…) Nach dem ersten Bombenangriff  wurden erst die wertvollsten Bücher verlagert, nach der Ausbombung 1943 alles nach Rankenheim – bei Königs Wusterhausen – einem Besitz des Instituts. Dort wurde nun alle Institutsarbeit getan, alle Angestellten wohnten dort auch. 1945 nach Eroberung durch die Russen, luden diese alles, Bücher, Pakete usw. auf große Lastwagen und fuhren alles ab. Zum Teil haben sie es dann im Walde herunter gekippt und angezündet.

(Heilpädagogisches Archiv Berlin: Brief von Margarete Trapp an Karl Holeczek vom 26.10.1963)

Auch Otto Sasse (1987) berichtete, dass die Bestände während des Zweiten Weltkriegs weitest-gehend verloren gegangen seien.

 

2. Das Heilpädagogische Archiv ab 1945

Ab 1953 bildete die Sammlung von Heilpädagogischen Büchern aus Schenkungen innerhalb der Berliner Vereinigung der Heilpädagogik den Grundstock für den Aufbau eines Heilpädagogischen Archivs in West-Berlin. Zudem konnten im Jahr 1955 1331 Bände aus der Max-Kirmsse-Bibliothek von dessen Witwe erworben werden. Der knappe finanzielle Spielraum machte es unmöglich den Rest der Bibliothek anzukaufen. Er wurde von der Universität Marburg erworben, wo die Bücher bis heute einsehbar sind (Ellger-Rüttgardt & Wolff, 1998).

Dass der Aufbau trotz finanzieller Einschränkungen voran ging, ist vor allem dem Hilfsschullehrer Karl Holeczek zu verdanken. Er trieb Mobiliar für das Archiv auf, sortierte die Bestände, organisierte Schenkungen und Nachlässe und ersuchte immer wieder finanzielle Zuwendungen von verschiedenen Institutionen. Problematisch war allerdings, dass sich das Archiv bis 1968 an zwei unterschiedlichen Standorten (ein Teil in der 1. Hilfsschule Hausotterplatz ¾, der andere in der Medizinischen Zentralbibliothek des Landesgesundheitsamtes in der Invalidenstraße) befand (ebd.).

1968 wurde das Heilpädagogische Archiv in der Pädagogischen Hochschule Berlin in Lankwitz untergebracht und von nun an von Prof. Dr. Otto Sasse geleitet. 1973 zog das Archiv abermals um, in das neu erbaute Institut für Sonderpädagogik in Berlin-Dahlem. Das Institut war bis zu seiner Auflösung 1980 Teil der Pädagogischen Hochschule Berlin, danach wurde es in den Fachbereich Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften der Freien Universität Berlin eingegliedert (Stoellger, 1987). 1992 wurde der Studiengang der Sonderpädagogik an der Freien Universität Berlin geschlossen, womit der Verbleib des Heilpädagogischen Archivs in Frage gestellt war (Ellger-Rüttgardt & Wolff, 1998). Mit der Auflösung des Standorts an der FU Berlin und dem Umzug des HPAs an die HU Berlin wurden erstmals in der Geschichte der Professionalisierung der Sonderpädagogik in Berlin alle Fachrichtungen an einem Standort verortet. Die bis dato getrennte Ausbildung der Blinden- und Taubstummenlehrer und der Hilfsschullehrer vereinte sich in einem universitären Standort.

1996 überließ der Verband deutscher Sonderschulen das Archiv der Humboldt Universität zu Berlin als Schenkung. Durch das Bemühen von Frau Prof. Dr. Sieglind Ellger-Rüttgardt konnte der Umzug des Archivs in die Georgenstraße als Teilbestand der Institutsbibliothek organisiert werden.

 

3. Das Heilpädagogische Archiv Heute

2009 erfolgte der Umzug der Zweigbibliothek des Instituts für Rehabilitationswissenschaften in das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum. Aufgrund der zu geringen Platzkapazitäten dort, wurden die Bestände am Eichborndamm zwischengelagert. 2010 zog das HPA an den heutigen Standort in die Georgenstraße 36. Im Fokus stehen seitdem die Zugänglichmachung und Nutzung der Bestände über eine Systematisierung und Katalogisierung.

Die Leitung des Archivs übernahm Prof. Dr. Vera Moser mit Unterstützung der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Nicole Weißhoff und Katja Zehbe.

Das Archiv kann durch Schenkungen und Nachlässe aktuell einen Bestand von ca. 5000 Büchern und ca. 1300 Zeitschriften vorweisen. Dabei sind jedoch nicht alle Werke und Zeitschriften vollständig erhalten.

Im Archiv kann Einsicht genommen werden in historische Bestände aus dem 18. bis 20. Jahrhundert, unter anderem in:

  • allgemeine und pädagogische Nachschlagewerke
  • Bibliographien, Gesetzessammlungen, Monographien und Zeitschriften aus den Bereichen Allgemeine Pädagogik, Sonder- und Heilpädagogik
  • Fachliteratur aus den Referenzwissenschaften der Anthropologie, Medizin, Psychologie, Soziologie
  • Jahresberichte von Anstalten und Schulen
  • Verwaltungsakten des Landesverbandes Berlin im Verband deutscher Sonderschulen (vds)

Nachlässe und Schenkungen:

  • über 1000 Bände der Max-Kirmsse-Sammlung (1877 - †1946)
  • Nachlass von Johannes Trüper (1855 - †1921)
  • Nachlass von Werner Schmidt (1889 †1958) und Hedwig Schmidt (1898- †1978)
  • Nachlass von Frieda Stoppenbrink-Buchholz (1897 - †1993)
  • Nachlass von Harold Zumsteeg (1874 - †1963)
  • Schenkung von Jochen Synwoldt (†2007)
  • Schenkung der Wiesengrund-Schule aus Berlin
  • Sammlung „Hans Würtz“ (1875 - †1958)

 

 

Literatur:

Ellger-Rüttgardt, S. & Wolff, S. (1998): Zur Geschichte des Heilpädagogischen Archivs Berlin, in: Zeitschrift für Heilpädagogik 4, S. 194-197.

Klein, C. (1928): Heilpädagogisches Archiv: Bücherverzeichnis. Berlin.

Klein, C. (1930): Heilpädagogisches Archiv Berlin, in: Die Hilfsschule 23 (5), S. 306f.

Koch, H. (1925): Das Heilpädagogische Seminar Berlin-Brandenburg: Ein Versuch zu gemeinsamer Ausbildung der Lehrenden aller heilpädagogischen Schulen und Anstanlten, in: Die Hilfsschule 23 (9), S. 271-276.

o.A. (1931): Mitteilungen, in: Die Hilfsschule 24 (2), S. 100f.

o.A. (1932): Mitteilungen, in: Die Hilfsschule 25 (12), 746.

Sasse, O. (1987): Das Heilpädagogische Archiv Berlin, In Senator für Schulwesen, Berufsbildung und Sport (Hrsg.), Sonderpädagogik in Berlin, Berlin.

Stoellger, N. (1986): Das Institut für Sonder- und Heilpädagogik an der Freien Universität Berlin. In: Senator für Schulwesen, Berufsbildung und Sport (Hrsg.), Sonderpädagogik in Berlin, Berlin.